Wo stehen Sie in Ihrer Nachhaltigkeit-Transformation? – Standortbestimmung via Reifegradmodell (Sustainability Maturity Assessment)

Das Konzept des nachhaltigen Wirtschaftens oder der unternehmerischen Nachhaltigkeit ist im unternehmerischen Alltag angekommen (SustainAbility, „Model Behavior: 20 Business Model Innovations for Sustainability“, SustainAbility Inc., New York, Februar 2014; MIT Sloan, „Corporate Sustainability at Crossroads: Progress Toward Our Common Future in Uncertain Times“, 23 Mai 2017; McKinsey „Sustainability‘s deeming imprint“ December 2017). Dennoch gibt es keinen Konsens darüber, was Nachhaltigkeit für Unternehmen bedeutet. Die Transformation von Unternehmen erfordert einen sich ständig wiederholenden Prozess, in dem Geschäftsmodelle kontinuierlich evaluiert werden, die Wertschöpfung durch Systemdenken geprägt ist (Amanda Williams, Steve Kennedy, Felix Phillipp, Gail Whiteman „Systems Thinking: A Review of Sustainability Management Research“ Journal of Cleaner Production Nr. 148, S. 866-881, April 2017) und Nachhaltigkeit vollständig in Geschäftsstrategien und -praktiken integriert ist.

Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen sind aufgrund ihrer Größe, ihres Einflusses und ihres globalen Wirkens auf die endlichen Ressourcen des Planeten die wichtigsten wirtschaftlichen Akteure, die gegenwärtig zu einem nicht nachhaltigen Wachstum beitragen. Die Welt steht vor einer wachsenden Zahl komplexer und miteinander verbundener Herausforderungen, wie natürliche oder vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen, Verlust der biologischen Vielfalt, unfreiwillige Migration und zwischenstaatliche Konflikte.

Das derzeitige Wirtschaftssystem, das auf einem „Take-Make-Waste-Modell“ basiert, trägt maßgeblich zur Nicht-Nachhaltigkeit bei (siehe hierzu auch Kate Raworth, „Doughnut Economics: 7 ways to think like a 21st Century Economist“, Chelsa Green Publishing, Vermont, 2017).

Nachhaltigkeits-Reifegradmodelle (kurz auch “SMM“) bieten eine Struktur, dargestellt durch sequenzielle Stufen, und einen Prozess, um das Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit zu führen. Das Ziel eines SMM ist es, Unternehmen dabei zu unterstützen, eine breite Palette von Nachhaltigkeitsthemen zu überprüfen und mit Hilfe eines strukturierten Ansatzes die interne Agenda zu diesen Themen zu definieren. Sie helfen dabei, einen Fahrplan für die Nachhaltigkeitsintegration (Erreichen eines höheren Reifegrads) zu erstellen, die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens zu steigern und Geschäftspraktiken entlang der Nachhaltigkeitsreise zu transformieren. Der Reifegrad wird in der Praxis über verschiedene organisatorische Aspekte oder Dimensionen einer Organisation bewertet und in fünf Stufen des Reifegrades eingeteilt.

Bei der Erarbeitung des für Sie als Unternehmer passenden Nachhaltigkeit-Reifegrag-Modells sollten Sie in vier Schritten vorgehen.

Quelle: http://www.diva-portal.org/smash/get/diva2:1333057/FULLTEXT02.pdf

Im Schritt A, definieren Sie den Erfolg. Diese Ebene stellt den höchsten Reifegrad Ihres SMM dar, wobei auch Kriterien für Zwischenstufen des Erfolgs berücksichtigt werden. Die Nachhaltigkeitsprinzipien sollten innerhalb dieses Schrittes als Leitlinien für das sogenannte Backcasting einbezogen werden. Der Schritt B sollte Anleitungen und Methoden bereitstellen, um die aktuellen Geschäftspraktiken einer Organisation in Bezug auf die Nachhaltigkeitsprinzipien zu bewerten. Im Schritt C sollte das SMM helfen, die Maßnahmen / Programme / Initiativen zu erstellen, um progressive Reifegrade und schließlich die höchste Stufe zu erreichen. Der Schritt D gibt Ihnen eine Orientierung, welche Maßnahmen/Programme/Initiativen unter Verwendung verschiedener Priorisierungskriterien ergriffen werden sollten, um die Zwischenstufen und schließlich die höchste Reifegradstufe zu erreichen.

Nachfolgend noch ein paar allgemeine Anmerkungen zu den vier Schritten …

Schritt A: Vision

  • Die Herausforderung: Die meisten SMMs beziehen sich nicht direkt auf bestehende Nachhaltigkeitsprinzipien (ESG, SDGs etc.)
  • Definition von Nachhaltigkeit: Jedes SMM hat eine Definition von Nachhaltigkeit zu enthalten; im Idealfall beruht diese auf den Nachhaltigkeitsprinzipien (ESG, SDGs etc.).
  • Backcasting ist implizit in jedem SMM vorhanden und wird durch die höchste Reifegradstufe repräsentiert, basiert in der Praxis oftmals aber nicht auf den Nachhaltigkeitsprinzipien (in Folge aus Punkt eins), sondern auf Kriterien, die auf jeder Stufe anhand der Nachhaltigkeitsdefinition des jeweiligen Modells definiert werden.

Schritt B: Status Quo

  • Bewertung des organisatorischen Reifegrads der gegenwärtigen Ausgangssituation: Die meisten SMMs bieten keine Basisbewertung des aktuellen Zustands des Unternehmens, abgesehen vom Reifegradraster selbst, das als High-Level-Bewertung angesehen werden könnte.

Schritt C: Notwendige Maßnahmen

  • Strategische Handlungspläne: SMMs sind oftmals so konzipiert, dass sie von Organisationen aus verschiedenen Branchen, Geografien usw. verwendet werden können. Der spezifische Kontext der Bedingungen, in denen die jeweiligen Organisationen arbeiten, ist aber entscheidend für die Identifizierung spezifischer nachhaltigkeitsbezogener Maßnahmen. In der Praxis lässt sich beobachten, dass in SMMs keine spezifischen Maßnahmen zum Erreichen höherer Reifegrade aufgeführt werden. Indem sie angeben, wie die verschiedenen Stufen der Nachhaltigkeits-Reifegrade aussehen, bieten SMMs eine High-Level-Anleitung für Aktionen, aber sie beschreiben eben keine konkreten Aktionen. Dies aber ist zwingend erforderlich, wenn Ihnen eine SMM als sinnvolles und pragmatisches Management-Tool nützliche Dienste erweisen soll.

Schritt D: Strategische Priorisierung

  • Strategische Richtlinien für die Priorisierung: SMMs haben in der Praxis of keine explizit definierten strategischen Richtlinien, um organisatorische Initiativen zu priorisieren. Zwischenstufen von SMMs sind Trittsteine in die richtige Richtung zum endgültigen Ziel, da sie hervorheben, welche Kriterien erreicht werden müssen, aber nicht die Aktionen selbst (das Was) und das Wie, um die nächste Stufe zu erreichen. Auch dies ist aber zwingend erforderlich, wenn Ihnen eine SMM als sinnvolles und pragmatisches Management-Tool nützliche Dienste erweisen soll.

Modelle zur Bestimmung des Nachaltigkeit-Reifegrades Ihres Unternehmens

Reifegradmodelle wurden ursprünglich in den 1980er Jahren entwickelt, um die schlechte Performance von Softwareprojekten, die an das US-Verteidigungsministerium geliefert wurden, zu adressieren und Softwareanbietern zu helfen, ihre Entwicklungsprozesse von einem Ad-hoc-Zustand zu einem systematischeren Zustand zu verbessern, um konsistente Ergebnisse zu liefern. Der Entwurf und die Anwendung eines Reifegradmodells geht von der Annahme aus, dass die Veränderung und ihre Entwicklung vorhersehbar sind. Reifegradmodelle sind theoretische Konzepte darüber, wie sich organisatorische Fähigkeiten stufenweise entlang eines erwarteten, gewünschten oder logischen Reifungspfads entwickeln.

Im Kontext der Nachhaltigkeit lassen sich derzeit sechs Modelle in akademischen Kreisen und unter Praktikern finden:

  1. Akademische Modelle
  2. Praxis-Modelle
    • SM3 (Sustainability Management Maturity Model) – Scott Johnson, FairRidge Group 2010 in Inna Chilik u.a. Assessment of Sustainability Maturity Models for Business Transformation, BTH Schweden 2019.
    • CSMM (Crespin Sustainability Maturity Model) – Richard Crespin „Sustainability Maturity Model“, 2014 in Inna Chilik u.a. Assessment of Sustainability Maturity Models for Business Transformation, BTH Schweden 2019.
  3. Hybrid-Modell

Motivation – Warum setzen Sie sich als Unternehmer*in mit Nachhaltigkeit auseinander?

Die Motivation, die hinter den umweltrelevanten Entscheidungen eines Unternehmens steht, ist der Schlüssel zum Verständnis seiner Handlungen.

Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass zu Beginn die Maßnahmen ausschließlich durch externe Marktkräfte (Vorschriften, Kundennachfrage) angetrieben werden. Erst in späteren Stadien der Reifegradentwicklung wird das Unternehmen intern / Unternehmer*innen intrinsisch angetrieben, um nachhaltige Veränderungen zu schaffen.

Quelle: http://www.diva-portal.org/smash/get/diva2:1333057/FULLTEXT02.pdf

Stufe 0: Vernachlässigung

Ein Unternehmen handelt nicht mit Blick auf die Umwelt. Da es in den meisten Branchen irgendeine Form von Umweltvorschriften gibt, wäre dies eine Ausnahme.

Stufe 1: Konformität

Wenn die Umweltentscheidungen eines Unternehmens von der Einhaltung von Vorschriften angetrieben werden, dann nur, um das betriebliche Risiko zu reduzieren und die Vorschriften zu erfüllen („Compliance“).

Stufe 2: Verpflichtung

Wenn ein Unternehmen die Erwartungen externer Marktkräfte erfüllt, ist es durch “ Verpflichtungen“ motiviert. Das kann der Fall sein, wenn Kunden bestimmte Produkte, Nachweise oder Validierungen fordern. Das Unternehmen ist noch nicht durch interne Kräfte motiviert, sondern durch äußere Marktkräfte. Es handelt jedoch proaktiver als nur zur Einhaltung von Vorschriften („Macht des Faktischen“).

Stufe 3: Effizienz

Viele Unternehmen erkennen, dass die Optimierung von Umweltprozessen tatsächlich zu betrieblichen Kosteneinsparungen führen kann. Das heißt nicht, dass sie zweckorientiert handeln, aber sie versuchen aktiv, Schäden zu reduzieren, um effizienter zu werden. Dies ist in der Regel die Phase, in der das hauptamtliche Nachhaltigkeitspersonal die Verantwortung für die Prozesse übernimmt (mehr zur Verantwortung später).

Stufe 4: Führerschaft

Wenn ein Unternehmen aktiv nach nachhaltigen Innovationen strebt und diese als Markenverbesserung ansieht, wird es mehr aus einer internen Perspektive angetrieben. Das Führungsteam ist von der Nachhaltigkeit als Managementphilosophie überzeugt, und Nachhaltigkeit wird zu einem Treiber für die langfristige Lebensfähigkeit des Unternehmens. Innovative Produkte oder Geschäftsmodelle werden aktiv vorangetrieben.

Stufe 5: Zweckorientierung

Purpose-driven Unternehmen zielen darauf ab, über den betriebswirtschaftlichen Aspekt hinaus Werte für die Gesellschaft und die Umwelt zu schaffen. Sie werden oft speziell zu diesem Zweck gegründet. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Faktor, der berücksichtigt werden muss, sondern der Hauptfaktor bei allen Entscheidungen im Unternehmen. Das bedeutet nicht, dass das Unternehmen nicht darauf abzielt, profitabel zu sein – es bedeutet lediglich, dass Kompromisse die Ausnahme sind, nicht die Norm.

Qualifizierender Faktor: Verbindlichkeit

Wenn man mit Geschäftsführern und Eigentümern spricht, werden die meisten Unternehmen sagen, dass sie durch Zweck oder Führung motiviert sind und sich somit auf den höheren Rängen des Sustainability Maturity Reifegrades befinden.

Während die Motivation selbst schwer zu messen sein kann, gibt es einige harte Qualifizierungsfaktoren, die erfüllt sein müssen, um die nächste Stufe im Reifegradmodell zu erreichen.

Einer dieser Faktoren ist die Rechenschaftspflicht. Gibt es Key Performance Indicators (KPI) für Umweltaktivitäten im Unternehmen?

Stufe 1: Konformität

In der Compliance-Phase werden keine Umwelt-KPIs definiert. Compliance wird einfach ad-hoc mit gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt.

Stufe 2: Verpflichtung

Der einzige Unterschied zwischen der Obligation- und der Compliance-Phase ist, dass auch Ad-hoc-Anfragen für den Markt beantwortet werden können. Zum Beispiel, wenn ein Kunde eine Umweltproduktdeklaration (Environmental Product Declaration, EDP) anfordert.

Stufe 3: Effizienz

Umwelt-KPIs werden auf einer funktionalen Ebene definiert. Operative Entscheidungen werden teilweise durch Umwelt-KPIs beeinflusst.

Stufe 4: Führung

Es gibt Top-Level-KPIs für die Umweltleistung des Unternehmens. Das Management wird teilweise an Umwelt-KPIs gemessen. Anreizsysteme werden stark durch Umwelt-KPIs beeinflusst.

Stufe 5: Zweckorientierung

Umwelt-KPIs werden für die Entscheidungsfindung auf jeder Ebene definiert. Ökologische Überlegungen überwiegen ökonomische Überlegungen.

Qualifizierender Faktor: Ownership

Wer trägt die Verantwortung für Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen? Viele Unternehmen behaupten, zweckorientiert oder führend in Sachen Nachhaltigkeit zu sein, aber es ist schwer zu glauben, wenn sich niemand dieser Aufgabe widmet.

Stufe 1: Konformität

Umweltthemen werden ad-hoc von den Verantwortlichen (Recht, Betrieb) übernommen.

Stufe 2: Verpflichtung

Nachhaltigkeit wird von QHSE-Managern (Qualität, Gesundheit, Sicherheit, Umwelt) in funktionaler Verantwortung oder von Teilzeit-Nachhaltigkeitsmanagern übernommen.

Stufe 3: Effizienz

Nachhaltigkeit wird von hauptamtlichen, engagierten Nachhaltigkeitsbeauftragten verantwortet.

Stufe 4: Führung

Nachhaltigkeit wird von der obersten Managementebene verantwortet, mit einer verantwortlichen Führungskraft auf C-Level (Chief Sustainability Officer).

Stufe 5: Zweckorientierung

Umweltrelevante Entscheidungen werden auf allen Ebenen des Unternehmens getroffen, und jeder ist für die Umweltleistung verantwortlich.

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